Wir Deutschen sind ganz groß im Jammern. Und im Meckern. Über’s Wetter, dass die Bahn nicht kommt, dass alles sooo schlimm ist… Ich nehme mich da nicht raus. Ja, ich war die Queen im Rumheulen. Aber wenn man eins lernt beim Reisen, dann wie wunderbar doch unsere Heimat ist. In welchem Reichtum und mit welchen Privilegien wir aufwachsen dürfen. Ja, ich schreibe absichtlich „dürfen“, denn all das, was wir als selbstverständlich ansehen – es ist nicht selbstverständlich!

Vielleicht kann ich das gerade aus einer ziemlich priviligierten Situation heraus sagen – nach einer langen Reise, einer Auszeit vom Job, einem sonnigen Winter. Aber das alles spielt keine Rolle, denn die Tatsache wie gut es uns in Deutschland geht und wie viel wir trotz allem jammern wird einem erst bei der dauernhaften Präsenz von Armut und Rückstand so richtig bewusst.

Zuhause auf der Straße
So kann auch ein Zuhause aussehen – oder ein „Restaurant“

Versteht mich nicht falsch, mir ist vollkommen bewusst, dass es auch in Deutschland Armut gibt. Das möchte ich auch nicht wegdiskutieren. In meinem Job bekam ich mehr als einmal Einblicke in deutsche Armut. Doch es ist etwas anderes als in Indien, Kambodscha, Indonesien, Bolivien oder Nicaragua (und zahlreichen anderen Ländern) – wo viele Menschen täglich ums Überleben kämpfen. Mülltonnen durchwühlen um nicht zu verhungern, weniger wert sind als Tiere, Tote einfach auf der Straße liegen gelassen werden, weil sich niemand drum schert. Diese Menschen kämpfen ums nackte Überleben – und nicht darum, ob sie sich einen neuen Fernsehr finanzieren können oder wie sie die Stromrechnung zahlen.

Dankbarkeit und Demut

Ich wurde auch nicht mit dem sogenannten goldenen Löffel im Mund geboren (wir haben gearbeitet und gespart, um uns diese Reise zu ermöglichen) – aber wenn ich es aus Sicht vieler anderer Länder betrachte, dann vielleicht sogar mit einem komplett goldenen Tischset – vom Löffel über’s Tellerchen, Messer, Gabel und Becher inklusive?

Ich liebe Reisen und ich liebe es fremde Kulturen kennenzulernen. Reisen ist ein Privileg. Für mich Luxus – selbst wenn man manchmal in einer 5€-Unterkunft (mit Loch im Boden als Toilette und Wasserschlauch statt Dusche) landet.


Mit der Kelle Wasser zum Klo-Spülen schöpfen und auf die Fische acht geben? In Deutschland unvorstellbar!

Das ist nunmal der local way – und zwar noch der gehobenere! Reisen hat mich Demut gelehrt, Sparsamkeit und vor allem Dankbarkeit. Dankbarkeit für das was ich bin und woher ich komme.

Hauptgewinn in der Lotterie

Ich bin dankbar, das Glück gehabt zu haben, in Deutschland geboren und aufgewachsen zu sein – es ist der Hauptgewinn in der Geburtslotterie. Wisst ihr wie hoch die Chance hierfür ist? Ziemlich genau 1%! Ja, richtig gelesen. Für die Zukunft stehen die Chancen glatt noch schlechter: 99,5% der Kinder werden heutzutage nicht in Deutschland geboren. Es ist kein Verdienst oder Selbstverständlichkeit wo wir geboren werden, es ist schlicht Zufall. Und wir hatten dabei verdammt noch mal Glück! Was ich auf meiner Reise gelernt habe? Es ist ein Privileg in Deutschland leben zu dürfen! Und wenn ihr immer noch nicht glaubt, das große Los gezogen zu haben, hier noch ein paar Gründe warum wir mit unserer Heimat verdammtes Glück haben.

Wir leben in (nicht selbsverständlichem) Luxus

Luxus kann vielerlei sein. Eine Villa, ein fettes Auto oder eben eine funktionierende Infrastruktur. Wir leben in Luxus. Vielleicht nicht in solchem, den man in Promimagazinen sieht, doch das was wir als völlig selbstverständlich erachten IST Luxus. Wir haben Strom und fließendes (Trink-)Wasser! Allein diese Tatsache ist Luxus! Wenn es mal nicht funktioniert wird es binnen kürzester Zeit repariert. Ist ja normal. Für uns. In Honduras hatten wir 3 Tage kein Wasser in der Unterkunft. War halt kaputt. Stattdessen bekamen wir einen großen Eimer vor die Tür gestellt. Funktioniert auch irgendwie.

Wir haben Straßen. Ja, wir jammern über den Zustand, aber sind wir mal ehrlich, dickes Firstworldproblem! Wir brauchen nicht 5 Std für 80 Kilometer oder müssen erst mal drei Stunden lang bis zur nächsten Straße laufen (auch ich habe viel über die hohen Steuern gemeckert und tue es immer noch gern, aber Staßen sind wirklich was tolles!).

Wir haben eine Müllabfuhr, die den ganzen Dreck einfach irgendwohin fährt und sich um die Entsorgung kümmert. Volle Tonnen – löst sich schon von selbst. Wir müssen nicht knietief durch Müll und Dreck laufen. Aber schon mal darüber nachgedacht, was man mit dem Müll machen würde den jeder von uns täglich produziert, wenn es nicht dieses verflucht gute System im Hintergrund gäbe?!

Müll in Vietnam
Auch im Paradies kann es manchmal einfach nur ekelhaft sein – Müll, überall Müll

Wir haben saubere Luft – selbst in Großstädten. Auch wenn manch einer das nicht glaubt. Aber wir ersticken nicht in Abgasen, Rauch oder sonstigem Gift das in die Luft gepustet wird.

Luftverschmutzung
Die Luft in Indien war oftmals so ekelhaft, dass man kaum atmen wollte 

Wir können in Sicherheit leben

Wir haben die Freiheit einfach vor die Tür gehen zu können. Und müssen keine Angst haben, erschossen zu werden, weil irgendwelche Bandenkriege außer Kontrolle geraten. Oder Bomben fallen. Waffen gehören in anderen Ländern zum ganz normalen, täglichen Anblick. Sind allzeit und nahezu überall präsent. Wenn in Deutschland mehr bewaffnete Einsatzkräfte irgendwo postiert werden, gibt es direkt einen riesen Aufschrei wie unsicher unser Leben geworden ist. Nein, wir müssen uns nicht einschränken.

zerstörtes Haus Mexiko
Normalität in Ciudad Juárez nach dem Drogenkrieg

Bewaffnete Straßensperren gehören bei uns nicht zum Alltag – anderswo sehr wohl

Natürlich gibt es auch in Deutschland Kriminalität und schlechte Menschen, die einem nichts Gutes wollen. Doch habt ihr euch jemals darüber Gedanken gemacht, dass andere Menschen vor euch Angst haben könnten? Ich hatte bislang nie darüber nachgedacht… Auf Sri Lanka haben wir ein junges Paar kennengelernt, sie haben uns netterweise in ihrem Auto mit in die Teeplantagen genommen (wir waren der Meinung 17km könnte man auch zufuß laufen). Sie haben uns also einen riesen Gefallen getan, doch als wir uns später noch mal per Email bedankt haben, antworteten sie, sie hätten uns zu danken! Weil wir keine Angst vor ihnen gehabt und ihnen einfach vertraut hätten! Weil wir offen auf sie zugegangen sind und uns mit ihnen unterhalten haben. Verrückte Welt, oder? Und irgendwie hat mich diese Email, so lieb sie auch war, wirklich traurig gemacht.

Paar in SriLanka
Zwei der liebsten Menschen, die wir auf unserer Reise getroffen haben 

Wir dürfen lernen

Wir haben die Möglichkeit zu lernen. Wir müssen nicht um Bildung kämpfen, sondern jammern stattdessen, dass wir lernen müssen (ja ich nehme mich auch da nicht aus; wie oft habe ich zu Schul- und Unizeiten gestöhnt – wie naiv). Heute weiß ich, es ist ein Privileg lernen zu dürfen, zur Schule gehen zu können. Lesen, schreiben, rechnen und Fremdsprachen beigebracht zu bekommen.

Vor allem Fremdsprachen sind nicht selbstverständlich, nicht mal in Europa. Und das beste an der ganzen Sache, in Deutschland kostet diese Bildung nicht mal was. Klar, Schulbücher und Co müssen bezahlt werden und sind manchmal ganz schön teuer. Aber die Schulbildung an sich kostet uns nichts – und jeder hat das Recht auf diese kostenlose Bildung. Je mehr man darüber nachdenkt, umso großartiger wird dieser Gedanke.

Wir haben die Freiheit zu entscheiden

Wir haben die Freiheit zu wählen – unsere Regierung, unsere Jobs, die Religion und auch unsere Art zu leben.

Arbeiter auf dem Ijen
Am Ijen in Indonesien haben die jungen Männer selten eine Wahl was sie aus ihrem Leben machen wollen

Und mit wem wir leben wollen (oder eben auch nicht). In Indien wurden wir gefragt, ob wir aus Liebe geheiratet hätten oder die Ehe arrangiert wurde. Lachend sagten wir aus Liebe – für Indien fast unvorstellbar, für uns selbstverständlich!

Hochzeit
Wir konnten uns füreinander entscheiden – ohne, dass uns jemand gedrängt hätte. Welch ein Glück

Wir haben die Freiheit zu reisen. Unser Land verlassen zu können und wieder kommen zu dürfen. Egal wann, egal wie oft. Wir haben die Freiheit zu kommen und zu gehen wann immer wir wollen.

Grenze
So sehen für viele Menschen auf der Welt Grenzen aus – unüberwindbar. Uns stehen sie fast immer offen

Unser Pass – ein Hauptgewinn

Und wenn wir schon bei der Freiheit kommen und gehen zu können sind, sie wird noch größer hält man sich vor Augen, was unser Deutscher Pass bedeutet. Nie zuvor war es mir derart bewusst, dass unser Pass Tür und Tor öffnet. Klar gibt es Länder, für die wir ein Visum brauchen. Aber zählt mal die Länder, in denen man keins braucht – oder es problemlos bekommt. Wie oft standen wir staunend an einer Flughafenkontrolle und wurden mit einem Lächeln durchgewunken – einfach nur weil wir diesen Pass haben.

Deutscher ReisepassWahrlich der best buddy – mein Reisepass

Nach unserer Tour durch die Uyuni-Wüste durften die beiden Chinesen, die mit uns unterwegs waren, nicht in Chile einreisen. Nach einer Stunde Diskussion mit den Grenzbeamten schickte man sie zurück nach Bolivien. Unser Fahrer war natürlich längst weg, sie mussten sich mitten im Niemandsland einen Wagen suchen, der sie zurück ins 7-Stunden entfernte Uyuni bringt, um von dort zur Botschaft nach La Paz zu reisen. Während die Beamten bei der Ausreise aus Sri Lanka jeden Fluggast eingehend löcherten (warum reisen sie, wohin, wie lang, wo ist ihr Visum, … ) und sogar manche Passstempel mit einer Lupe untersuchten, lächelte mich die Dame an und wünschte mir in perfektem deusch „eine gute Reise und viel Spaß“ (Max musste noch nicht mal seinen Pass vorzeigen – es reichte zu sagen er sei mein Ehemann)! In Chile schwärmte uns ein junger und weltoffener Iraner im Hostel vor, wie gerne er doch mal Israel besuchen würde; seine Chancen jemals ein Visum zu bekommen liegen jedoch gen Null (und seit ein paar Tagen vermutlich im Minusbereich).

Ja, wir hatten auch mit unserem deutschen Pass anstrengende Grenzkontrollen, mussten warten, uns befragen lassen, uns auseinander nehmen lassen oder ein paar Euro zaheln. Doch das ist nichts, verglichen mit dem was man mit anderen Nationalitäten macht. Wir durften bislang immer überall einreisen.

Ich kann als Frau in Freiheit leben

Und das wofür ich immer und immer wieder dankbar bin: für die Freiheit in der ich als Frau aufwachsen durfte! Dass ich (fast) alles tun konnte was ich wollte. Dass ich ebenso lernen durfte wie mein Bruder. Dass ich mit meinen Freunden ausgehen kann, dass ich mir meinen Partner selbst aussuchen darf, dass ich arbeiten darf, Auto fahren darf und wenn ich möchte auch alleine leben kann. Dass ich eine Wahl habe und nicht gesteinigt werde, weil ich mich mit einem anderen Mann unterhalten habe. Dass ich nicht ausgepeitscht werde, weil ich eine andere Meinung vertrete.

Freie Frau
Ich kann tun und lassen was ich will

Ja, wir schimpfen in Deuschland noch immer über Gleichberechtigung (und an vielen Stellen hapert es noch immer gehörig). Aber wir haben bereits viel erreicht. Wir haben die Möglichkeit ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Also lasst uns das Positive sehen und nicht nur das Negative. Und lasst uns dafür kämpfen dass es sich weiter verbessert.

Konsum und freie Marktwirtschaft

Ich habe auf dieser Reise gelernt, wie wenig man eigentlich braucht. Und hierzulande muss man den häufigen Konsumüberschuss ehr schon infrage stellen. Doch lasst euch eins gesagt sein, freie Märkte sind geil! Freie Märkte sind Luxus pur. Ich will damit nicht unsere viel zu selbstverständliche Konsum- und Verschwendungsmentalität befürworten, sondern die Tatsache, dass wir die Möglichkeit haben, zu kaufen was immer wir wollen. Zumindest theoretisch. Allein die Möglichkeit zu haben, macht mich bereits glücklich.

Wir müssen nicht stundenlang in einer Schlange stehen, um Brot, Salz, Kartoffeln oder was auch immer was zu ergattern. Wir müssen nicht stundenlang durch Läden streifen, um eine Flasche Trinkwasser zu finden. Oder wochenlang jeden Tag durch die Stadt fahren, auf der Suche nach einer Zahnbürste oder einer Kaffeemaschine. Wann habt ihr das letzte Mal gehört „das ist heute ausverkauft“ (außer vielleicht auf der Suche nach einem Bleigieß-Set an Silvester)?

Nein, wir leben in einer Überflussgesellschaft. Wir müssen uns keine Gedanken machen, wie wir an notwendige Dinge kommen. Stattdessen sollten wir es wertschätzen. Und achtsamer werden; uns Gedanken machen, wie wir unsere Welt schonen und nachhaltiger einkaufen können. Wir können es uns leisten.

Die Welt liebt Deutschland

Und das absurde? Während ich in Deutschland immer wieder höre, dass Leute auswandern wollen (weil alles doch sooo schlimm ist), spricht man in der Welt gut über Deutschland! Mehr als einmal wurden wir beneidet. Nicht von Menschen, die gerne wegen der Sozialleistungen nach Deutschland kommen wollen, nein, das haben wir kein einziges Mal gehört. Man beneidet uns für das Land, die Demokratie, die Werte und die Wirtschaft die wir haben (und für unsere Nationalmannschaft). Für die Freiheit und die Möglichkeiten.

Mitten im tiefsten indonesischen Dschungel trafen wir Kanadier, die sich bei uns für Angela Merkel bedankt haben – sie sei die letzte Verfechterin der freien Welt. Was antwortet man darauf? Bitteschön? Um ehrlich zu sein, waren wir ziemlich baff – in Deutschland heißt es nur zu oft höhnisch „Danke Merkel“. In Taiwan trafen wir junge Menschen die plötzlich mit uns deutsch sprachen. Die Sprache haben sie sich mit Hilfe eines Buchs selbst beigebracht, weil sie das Land so cool finden und gerne hier ein Auslandssemester machen wollen. Ich kenne ehrlich gesagt keinen Teenager, der freiwillig eine neue Sprache lernt, weil man es so cool findet. In Chile sprach uns ein Restaurantbetreiber an, der sich einfach nur über die großartigen deutschen Küchengeräte und Backöfen unterhalten (und bedanken) wollte.

Doch warum fällt es uns so schwer all das zu sehen? Warum müssen wir erst einmal um die Welt reisen, um das bewusst wahrzunehmen? Irgendwie fällt es uns leichter über Dinge zu jammern als über schönes zu reden. Warum ist das so? Sind wir es einfach gewohnt, dass es uns gut geht? Dass es uns selbstverständlicherweise gut gehen muss? Warum haben wir so oft das Gefühl zu kurz zu kommen? Das Gefühl, anderen gehe es besser? Dass das Gras auf der anderen Seite grüner ist? Vielleicht leben wir einfach auf so hohem Standard, dass es uns schlicht selbstverständlich erscheint. Vielleicht müssen wir es uns wieder bewusst machen. Wenn man Leid und Trauer erfährt, empfindet man danach glückliche Zeiten als wertvoller, wenn man mit Krankenheiten kämpft oder dem Kampf erfolglos zusehen muss, schätzen wir unsere Gesundheit mehr. Also lasst uns wieder hinschauen, wie gut es uns doch geht und die kleinen Glücksmomente wahrnehmen.

Was nehme ich von dieser Reise mit?

Dankbarer zu sein. Für das was ich habe. Für die kleinen Dinge. Und für die großen noch mehr. Dankbar zu sein, dass es uns so gut geht. Und dass man – egal wo auf dieser Welt man ist – nur dann glücklich ist, wenn man mit sich selbst glücklich ist. Vielleicht scheint anderswo häufiger die Sonne. Vielleicht kann man in Asien oder Lateinamerika günstiger leben. Aber spätestens wenn der Alltag einkehrt (und der kommt irgendwann nach dem Urlaubsfeeling), fangen auch dort die Probleme an. Dann ärgert man sich halt statt dem Wetter und der Steuern über Stromausfälle, Tropenstürme, Korruption, schlecht gebaute Häuser oder einfach chaotische Verhältnisse.

Wir leben in einem tollen Land! Und das sollten wir endlich wieder mehr würdigen. Lasst uns also aufhören zu jammen. Und stattdessen jeden Tag etwas Gutes suchen! Die Welt hat mich gelehrt dankbar zu sein. Für meine Herkunft, für meine Bildung, für die Art in der ich aufwachsen durfte. Für die Freiheit die Welt sehen zu dürfen und ebenso wieder nachhause kommen zu können.

Berlin