Manchmal verhilft einem der Zufall zu seinem Glück. Beim Stöbern auf Pinterest finde ich ein Foto von einem Tempel, wie ich ihn noch nie gesehen habe: Er glitzert in der Sonne und wirkt wie aus einem Traum – ein weißer Tempel! Im Norden Thailands, noch 200km weiter nördlich als Chiang Mai soll dieses Prachtstück stehen – Chiang Rai heißt der Ort. Liegt ja fast auf dem Weg – kein Zweifel, da müssen wir hin.

Visionär zwischen Tradition und Popkultur

Sofort ist klar: Dieser Tempel ist anders. Nicht nur, dass er weiß ist. Er ist auch anders als alle Tempel, die ich in Thailand gesehen habe. Kein Wunder, denn der Künstler hat große Visionen. Ajarn Chalermchai, der im Norden Thailands wie ein Popstar verehrt wird, hat sich vorgenommen den schönsten Tempel der Welt zu bauen. Ganz nebenbei will er den modernen Buddhismus Thailands abbilden, traditionelle thailändische Kultur gemixt mit ein bißchen (oder auch ein bißchen mehr) westlicher Popkultur.

Die vom Architekten verfolgten Ziele sind nicht gerade niedrig gesteckt. Mit dem weißen Tempel soll ein Denkmal geschaffen werden (bzw. will sich der Herr selbst ein Denkmal setzen), das man auf eine Stufe mit dem Taj Mahal oder dem Ankor Wat setzen kann und das ebenso viele Besucher anzieht. An letzterem scheint der Weiße Tempel zumindest nah dran zu sein – in der Hochsaison schieben sich täglich 10.000 Besucher durch das Heiligtum. Klingt abschreckend, sollte einen aber nicht abhalten. Der Anblick ist es allemal wert!

Weißer Tempel von der Seite mit Steffi

Durch die Hölle in den Himmel

Der Tempel ist so angelegt, dass man von der Hölle in den Himmel geht. Man betritt den Tempel über die Brücke der Wiedergeburt, zu deren Seiten sich einem Hände entgegenrecken. Teils sind es menschliche Hände, teils von Dämonen. Sie zu durchschreiten, soll die Abkehr von weltlichen Gelüsten darstellen.

Hände im Weißen Tempel

Hände aus der Hölle des Künstlers

Wer ganz genau hinsieht, entdeckt einen einzelnen roten Fingernagel (rechts des Steges) – eine Mahnung des Künstlers genau hinzusehen! Man erkennt eben nur beim genauen Hinschauen die vielen kleinen Details. Dazu bleibt einem allerdings leider kaum Zeit. Der Steg ist schmal und der Besucherstrom darf nicht ins Stocken geraten – dafür sorgt ein Herr mit Megaphon der jeden lauthals anschreit, der zu langsam geht. Stehen bleiben ist verboten.

Weißer Tempel von vorne

Weißer Tempel von vorne

Von der Brücke geht es direkt in das innere Heiligtum des Weißen Tempels. Betritt man es, so schreitet man wie in jedem Tempel auf den Buddha zu. Unmittelbar in seinem Rücken befindet sich dann jedoch das eigentlich Spektakuläre und Unerwartete. 

Der Weiße Tempel – Disneyland und Horrorfilm mit Religion

Es ist eine Wand, auf die ein riesiger Dämon aufgemalt ist. Durch sein geöffnetes Maul ist man in den Tempel eingetreten und in ihm finden sich unfassbar vertraute Popikonen aus der westlichen Unterhaltungsindustrie gepaart mit den Anschlägen von 09/11, George W. Bush und Osama bin Laden. Wer genau hinschaut findet Batman und Yoda, Superman, Volverine, Picachu und zahlreiche weitere Pokemons, Michael Jackson, Captain Jack Sparrow, Jigsaw aus den Horrorfilmen Saw, Hello Kitty zwischen Darth Vader und Kampfmaschinen aus Star Wars, Elvis und Freddy Krüger, Kung Fu Panda, Neo aus Matrix, Angry Birds und niedliche Minions.

Und die Botschaft dahinter? Die lautet, ganz simpel: Frieden! Der Dämon, durch dessen Augen Bush und bin Laden blicken, stellt das Sterben der Unschuldigen dar und zeigt diejenigen, die unsere Welt zerstören, indem sie Kriege anzetteln und Waffen bauen. Für den Künstler sind diese beiden (einst) mächtigsten Männer der Welt Sinnbild dafür. Deshalb malte er sie, wie sie sich gegenseitig mit Freundlichkeit und Güte anschauen – nicht mit Hass. Alles eine Mahnung des Künstlers, eine friedliche und glückliche Welt zu schaffen.

Die Superhelden und Popikonen prangen an der Wand, um uns zu erinnern, dass es keine Helden auf der Welt gibt (denn weder Superman noch Spiderman kamen vorbei, als das World Trade Center brannte) – und wir selbst den Frieden bewahren müssen.

Im Inneren des Weißen Tempels gibt es ein striktes Fotoverbot, da dort ein original nachempfundener Mönch gleich vor Buddha sitzt – und da der noch lebt, darf man nicht fotografieren. Daran habe ich mich gehalten, weshalb es keine Fotos aus dem Innersten des Tempels gibt. Die Google Bildersuche kann aber Abhilfe schaffen.

Was hat man da gerade alles gesehen?

Nachdem man sich dieses schier unglaubliche Wandgemälde in aller Ausführlichkeit angeschaut hat, am großen Buddha vorbei geschritten ist und am anderen Ende den Tempel verlassen hat, wartet – laut Künstler –  der Himmel. Man lässt die Dämonen hinter sich und ist symbolisch im Himmel angekommen. Im Buddhismus nennt man dies „lokutharadhamma“ was die höchste Stufe versinnbildlicht, in welcher man nicht mehr wiedergeboren wird.

Weißer Tempel von der Seite

Weißer Tempel von hinten

Als Besucher, der zunächst keinen Bezug zum Buddhismus hat, kann man nach Verlassenen des Weißen Tempels kaum glauben, was man gerade alles gesehen hat. Die weiße Hülle wirkt schon surreal – komplett absurd wird es aber erst, wenn man das Innere und sein Wandgemälde wirklich mit eigenen Augen gesehen hat. Die Verschmelzung des Heiligen mit so viel Popkultur erscheint einfach fremd – selbst wenn man all diese Erklärungen gelesen hat. Aber vielleicht macht gerade das die Faszination des Weißen Tempels aus.

3 Dinge die Auffallen

Der Wat Rong Khun Chiang Rai sieht nicht nur anders aus als andere Tempel, sondern es herrschen auch andere Regeln dort.

1. Andacht

Nach besinnlicher Ruhe oder andächtig Betenden sucht man im Wat Rong Khun Chiang Rai vergebens. Das Gegenteil ist vielmehr der Fall: Ordner brüllen durch Megaphone um die Besuchermassen durchzuscheuchen, animieren zum Schuhe ausziehen, verbieten Fotografieren und blöken bloß nicht stehen zu bleiben. Der Großteil der Besucher ist davon so irritiert, dass er erst einmal stehenbleibt – was auf der schmalen Brücke natürlich zu Stau führt. Im Inneren des verhältnismäßig kleinen Tempels kann man sich jedoch die Zeit nehmen, das Wandgemälde in Ruhe anzusehen. Auch wenn die meisten Besucher einfach durchhasten ohne den Blick aufs Wesentliche zu richten. Von der Idee sich in Ruhe zum Beten oder nur zum Bestaunen vor den Buddha zu setzen, sollte man sich auch verabschieden – das hält die Massen auf und ist daher eher unüblich.

2. Schuhe mitnehmen

Auch im Wat Rong Khun Chiang Rai muss man natürlich seine Schuhe ausziehen. Doch hier gibt es keine Regale zum Aufstapeln, hier verteilt man Plastiktüten, damit man sie einpacken und mitnehmen kann. Vermutlich um den Strom Besucher ohne viel Chaos in eine Richtung durchzuschleusen – Hauptsache die Masse fließt Richtung Ausgang ab.

3. Farbe

Ach so, und wem es bisher nicht aufgefallen ist – im Gegensatz zu anderen buddhistischen Tempeln strahlt der Wat Rong Khun Chiang Rai komplett weiß. Der Architekt wollte damit eigentlich „weniger ist mehr“ ausdrücken – im Vergleich zu den traditionell goldverzierten Tempeln. Und hat gerade so ein Monument erschaffen. Das Weiß, das durch hunderte Spiegelfliesen verstärkt wird, glitzert in der Sonne, dass es in den Augen schmerzt. Kein Wunder, der Tempel wird auch mehrmals im Jahr geputzt.

Weißer Tempel von vorne

Das schönste Klo der Welt

Im Weißen Tempel sollte man eines unbedingt tun: zur Toilette gehen! Denn das ist extrem schön – also nicht der Akt als solches, sondern eher das Haus in dem er stattfindet. Ajarn Chalermchai wuchs in sehr armen Verhältnissen mit schlechten sanitären Bedingungen auf, daher war es ihm wichtig, dass es an seinem Denkmal ganz besonders schicke Toiletten gibt. Und das sind sie: ein goldener Tempel mit Ornamenten, Spiegelchen, Schmuck und jeder Menge Pomp. Selbst die Bodenplatten sind golden! Nein, die Kloschüsseln sind es leider nicht, dafür sind sie aber sauber und es gibt sogar Toilettenpapier (was nicht selbstverständlich ist). Ich mag sogar behaupten, dass es die saubersten öffentlichen Toiletten waren, die ich je in Thailand gesehen habe. Kurzum, im Wat Rong Khun Chiang Rai findet man das schönste Klohäuschen der Welt.

Goldenes Klo im weißen Tempel

Und wer sich so einen Tempel mit so einer Toilette bauen kann, der wird in Thailand gefeiert wie ein Popstar. In diesem speziellen Fall scheint es so zu sein, dass sich der Künstler selbst auch ganz gerne mal feiert. Gleich am Eingang kann man sich zum Beispiel neben einen lebensgroßen Pappaufsteller stellen um mit ihm ein Selfie zu machen.

Wünsch dir was

Neben den Toiletten sollte man den Wunschbrunnen auf keinen Fall verpassen. Auch hier gibt es die Tradition eine Münze in den Brunnen zu werfen, um sich etwas zu wünschen – selbes Prinzip wie überall auf der Welt. Allerdings wirft man die nicht über die Schulter, sondern  mit Blick nach vorne. Es gilt, die Münze auf das oberste Plateau zu werfen. Meine ist auf dem zweiten gelandet – Max hat das Oberste getroffen. Aber sicherlich gehen die Wünsche auf allen Ebenen in Erfüllung.

Wunschbrunnen im weißen Tempel

Abschied auf Zeit – ich komme wieder

Und auch wenn ich da war, von der Bucketlist gestrichen habe ich den Tempel trotzdem nicht – denn fertig ist er noch lange nicht. Der Künstler geht davon aus, dass der Bau in 60-90 Jahren abgeschlossen sein könnte – sowas ähnliches hat Gaudi auch mal über die Sagrada Familia gesagt und die ist bis heute nicht ganz fertig. In 10 Jahren oder so werde ich wieder kommen und mir anschauen was sich alles verändert hat. Vielleicht blicken dann nicht mehr Bush und bin Laden aus den Augen des Dämons – wir werden es sehen.

Bis bald weißer Tempel!